Esteban Sánchez — AUF DEN FELDERN DER ZEIT
Artisttalk: 17.03.2024, ab 15 Uhr
Eröffnung: 22.02.24, 19 Uhr
Artisttalk: 17.03.2024, ab 15 Uhr (Gesprächsbeginn um 16 Uhr) bis 17:30
Moderation: Julia Krings (Kunsthistorikerin und Leiterin der Museumsstudien
an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
Laufzeit: 22.02.24 – 21.03.24
Auftauchende Felsen, zu viel Grün, Flugzeuglärm und Tauen: Mit einem Expeditionsteam der Antarktis realisierte Esteban Sánchez (*1982 Bogotá, Kolumbien) stille Videosequenzen einer immer weniger weißen Landschaft. Sie bilden das Leitmotiv seiner Kölner Einzelausstellung, zeigen Abstand und Abgrund, das Nichts und das Menschliche.
Esteban Sánchez, der in Bogotá (Kolumbien), New York (USA) und Köln bildende Kunst studierte, war für eine Künstlerresidenz in die Antarktis eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er die Reise nicht antreten. Mit den Wissenschaftler*innen der Forschungsstation sprach er aus der Ferne die Parameter seiner dokumentarischen Filmaufnahmen ab – ein Werkprozess anwesender Abwesenheit. Im Zentrum jeder Sequenz steht stets derselbe Stuhl. Er markiert nicht nur die Leerstelle des ferngebliebenen Künstlers. Er markiert zugleich die längst unübersehbare Anwesenheit der Menschen in der Antarktis; eine Anwesenheit trotz körperlicher Abwesenheit.
Der leere, in Rückenansicht zu sehende Stuhl erinnert an die Repoussoirfiguren aus den Gemälden Caspar David Friedrichs; Rücken, die in erhabenen Landschaften stehen. Auch sie haben eine stellvertretende Funktion, markieren des Menschen Platz im Bild und gelten als Einladung, sich dort hineinzuversetzen. Doch: Das Gefühl erhabener Romantik stellt sich in Sánchez’ Aufnahmen nicht ein. Glucksen ist zu hören, ab und an Motorensurren, man sieht Geröll, Gras, nasse Felsen und zu wenig Schnee. Das soll die Antarktis sein? Enttäuschend.
Das Gefühl des Erhabenen verwehrt Sánchez auch in der Wahl des Formats. Indem er alte Smartphones als Screens zur Präsentation nutzt, betont er das Alltägliche der unter besonderen Umständen entstandenen Bilder. Ihr intimes Taschenformat baut keine auratische Atmosphäre auf. Die auf wenigen Quadratzentimetern präsentierten Aufnahmen der antarktischen Landschaften wollen nicht beeindrucken, sie verweisen auf das hinterleuchtete Kippeln der Gegenwart im Alltagverbrauch. Die technische Reproduzierbarkeit brachte nach Walter Benjamin den Verlust der Aura in die Welt. Sie war und ist zudem aber auch Teil des von Technik beschleunigten, ökologischen Verlustes der Welt. In technischen Reproduktionen kann dies sichtbar werden, in Kunstwerken mitunter fühlbar. Enttäuschung kann hierzu ein ästhetisches Mittel sein.
Transdisziplinär nennt Esteban Sánchez seine vielfältige Werksprache. Malerische, zeichnerische, sprachliche, konzeptuelle, filmische und fotografische Elemente bringt der in plastischen Prozessen denkende Künstler zusammen. Zu dieser medialen Werkdichte tritt eine transkontinentale Sensibilität. Eine Sensibilität, die nicht zuletzt aus seinem Leben zwischen den Kontinenten erwachsen mag und sich in Sánchez’ Suche niederschlägt, das Politische in einer poetischen Spannung aufscheinen zu lassen. Während des Corona-Lockdowns war der Künstler, der auch einen Abschluss in Philosophie besitzt, eingeladen, eine Plakataktion für die Bundestadt Bonn zu gestalten. „VIDA“ verkündeten seine Plakate den Passant*innen von den weitestgehend leeren Litfaßsäulen: auf zerknittertem Papier ein einsames, trotziges „VIDA“.
Für AUF DEN FELDERN DER ZEIT integriert Sánchez die filmischen Zeugnisse seiner Antarktis-Reflexion in eine konzentrierte Rauminstallation. Im Matjö – Raum für Kunst antwortet er mit einem wärmegedämmtem „Weißraum“ auf den „Earth Room“ Walter de Marias. Der dunklen Erde des Land Art Künstlers setzt Sánchez Elektroschrott im matten Weißglühen entgegen; tödlich banal und erdumspannend.
Text: Michael Stockhausen
https://www.instagram.com/transdisziplinaer/
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