Руфина Базлова/Rufina Bazlova & ვაჟიკო ჩაჩხიანი/Vajiko Chachkhiani – sew up times
Laufzeit: 15.07. – 05.08.2021, Abschluss inkl. Gespräch: 5.8.21, 17 – 18 Uhr
Die Ausstellung „sew up times“ präsentiert unterschiedliche künstlerische Strategien des Umgangs mit Geschichte und Geschichten sowie ihren soziopolitischen Auswirkungen in Arbeiten von Rufina Bazlova (*1990) und Vajiko Chachkhiani (*1985). Dabei gehen sie direkt und indirekt auf aktuelle politische und soziale Bedingungen ihrer Herkunftsländer Belarus und Georgien ein, für die sie eindrückliche ästhetische Formen finden.
So transformiert die belarussische Künstlerin Rufina Bazlova tagespolitische Geschehnisse in Belarus in Stickereien des traditionellen Vyschyvanka-Stils. Die mit rotem Faden handgestickten Bilder vermitteln dabei reale Informationen und Begebenheiten des Belarus-Konfliktes um die Präsidentschaftswahlen und Proteste gegen das Vorgehen amtierender Vertreter des Systems, sowie Symboliken und Atmosphären des Volksaufstandes auf künstlerische Weise.
In den einzelnen Stickereien sind unschwer verschiedene ikonische Szenen der Proteste zu erkennen. Ihre gestickten Szenen beziehen sich auf reale Begebenheiten und knüpfen somit an die Tradition der Stickkunst an, mit der weißrussische Frauen, die oftmals weder lesen noch schreiben konnten, ihr Leben festhielten und Informationen weitergaben. Nun schreibt Rufina Bazlova die politischen Ereignisse um die Wahlen in Belarus auf ihre Weise im Code der Volksstickerei ästhetisch nieder und erschafft hierdurch eindrückliche künstlerische Arbeiten.
Auch der georgische Künstler Vajiko Chachkhiani (*1985) beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit existenziellen Fragen unseres Lebens, die sowohl politisch wie auch persönlich geprägt sind und weitreichende Auswirkungen haben können. In seinem eindrücklichen wie auch poetischen Film „Winter which was not there“ (2017) wird gezeigt, wie ein Mann die Bergung einer Betonskulptur aus dem Meer beobachtet. Die Statue sieht ihm erstaunlich ähnlich. Daraufhin befestigt der Protagonist das steinerne Abbild an seinem Auto und schleift das aus dem Wasser geborgene Ebenbild durch eine karge Landschaft hinter sich her, bis die Figur nach und nach zerbröselt und die zuvor aus dem Wasser gerettete Skulptur hierbei zerstört wird.
Während Chachkhianis Film einerseits als Metapher eines Versuchs der Befreiung von der eigenen, individuellen Geschichte gelesen werden kann, so spielt er andererseits auch gekonnt mit der Rolle von Standbildern und Statuen im öffentlichen Raum, sowie ihrer mutwilligen Zerstörung, klimatischen Verwitterung oder gar einem Bildersturm des Sturzes öffentlicher und oftmals politisch motivierter Überhöhungen Einzelner.
Hierbei kann seine filmische Arbeit mit Blick auf die aktuelle soziopolitische Situation seines Heimatlandes Georgien verstanden werden. Indirekt thematisiert Vajiko Chachkhianis die historische Entwicklung Georgiens, das im Jahr 1991 nach langem Prozess die Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte. Nicht zufällig erinnert die Betonskulptur in Chachkhianis filmischem Werk an sowjetische Monumente und Herrscherstandbilder.
Der Künstler zeigt in seinem Film eindrücklich auf, wie scheinbar vergangene Geschichte(n) und historische Ereignisse das Leben und Denken vieler Menschen insbesondere in oftmals armen, postsowjetischen Gegenden noch immer prägen. Dabei tragen die Mehrdeutigkeit des Filmes und der langsame Prozess der Zersetzung des menschlichen Abbildes zur besonderen Stärke seiner Arbeit bei, die vielschichtige Lesarten eröffnet.
Rufina Bazlova, geboren 1990 in Belarus, lebt und arbeitet in Prag in Tschechien.
Vajiko Chachkhiani, geboren 1985 in Tiflis in Georgien, lebt und arbeitet in Tiflis und Berlin.
Kuratiert von Julia Katharina Thiemann